So begann die Reise
Hier ist ein Auszug aus den ersten Seiten unseres Buches
Dies ist das Inhaltsverzeichnis
1. Unser Abenteuer nimmt seinen Lauf
2. Viel länger als geplant
3. Zu den Oasen in der Wasserwüste
4. Wir segeln über den Atlantik
5. Mehr als Samba, Sonne, Strand
6. Heimaturlaub
7. Zu Gast bei Wasserschwein und Krokodil
8. Bei Inkas und modernen Schamanen
9. Bis ans Ende der Welt
10. Jedes Ende ist der Beginn von etwas Neuem
Anhang: Tipps für das Reisen mit Kindern
Und so beginnt das erste Kapitel:
Unser Abenteuer nimmt seinen Lauf
Jennifer war ein halbes Jahr alt und Jannes' zweiter Geburtstag stand an, als Ute und ich auf die Idee kamen, das Segeln auf Hoher See zu lernen. Wir wollten raus aus der ewigen Routine und uns
frischen Wind um die Nase wehen lassen: einmal um die Welt wollten wir segeln. Während wir uns für eine ganz normale Familie hielten, nahmen die Zweifel daran in unserem Umfeld allmählich zu. Uns
hatten die Bücher der großen zeitgenössischen Segelhelden begeistert: von Erdmann über Gebhardt bis zu den Wilts. Die Horrorszenarien in der Fachliteratur über Schwerwettersegeln, Notfälle an Bord
und Yachtunfälle konnten uns nicht aufhalten. Dass unsere Reise mit den typischen Segelreisen unserer berühmten Vorbilder dann doch nichts zu tun haben würde, konnten wir damals nicht ahnen.
Und jetzt sind wir unterwegs. In Straßburg steigen wir um in einen Nachtzug mit Liegesitzen - weder zum Liegen noch zum Sitzen, nur zum Liegesitzen. Alle zwei Stunden unterbricht der Steißbeinschmerz
den unruhigen Schlaf. Siebzehn Stunden nach unserem Start in Nordhessen, steigen wir frühmorgens an der Bahnstation Leucate, Südfrankreich, aus: kein Bus, kein Taxi. Wir schultern unsere Rucksäcke.
Es ist Ende Juli, die Grillen zirpen: Weingärten und Agaven beiderseits der Landstraße. Der Himmel ist bewölkt - zum Glück. Nach drei Kilometern Fußmarsch erreichen wir Port Leucate - Village. Bis
zum Hafen sind es noch acht Kilometer. Unsere Kinder sind erleichtert, dass sie ihre Rucksäcke jetzt in ein Taxi laden können.
Die jungen Französinnen in der Capitanerie, dem Hafenbüro, schauen eher gelangweilt. Erst nach eindringlichem Bitten können wir unsere Rucksäcke bei ihnen deponieren; Zeit für einen Imbiss.
Jenni und Jannes sind aufgekratzt und neugierig: "Wo ist unser Schiff?" Ein Anruf bei der Spedition in Kiel ergibt: "Es müsste gegen siebzehn Uhr eintreffen." Kurz nach fünf biegt der Tieflader aufs
Hafengelände ein. Ruckzuck hat der Travellift das Schiff zu Wasser gelassen. Ein Händedruck - Feierabend. Aber der Mast liegt noch auf dem Tieflader. Ratschlag des Hafenarbeiters: mal eben mit drei
starken Männern herunter heben. Der hat keine Ahnung, was so ein Zwölf-Meter-Mast wiegt.
Also laufe ich im Trimmtrab zur Capitanerie: keine Chance, jetzt ist Feierabend. "Aber fragen Sie mal Monsieur Phillip von Chantier Navale." Der legt seine Stirn in Falten: "Das wird schwierig. Die
Leute gehen nach Hause!" Aber er treibt einen Fahrer mit Gabelstapler auf. Gegen ein gutes Trinkgeld wird der Mast doch noch abgeladen. Der LKW-Fahrer fährt dankbar davon. Wir bringen unsere
Rucksäcke an Bord.
Am nächsten Morgen um halb Neun: le mâtage, Mast stellen. Aber der Mast ist nicht "preparé"; wir dachten, dass das Vorbereiten des Masts zum Maststellen gehört. Wir fragen Monsieur Albert von der
Voilerie Espace und bekommen einen Termin: heute Nachmittag, vierzehn Uhr. Eine Stunde später geht's los, die Salinge werden montiert, Wanten eingehakt, Stagen klariert, alle Verbindungen
kontrolliert. Um achtzehn Uhr stellt der Kran den Mast aufs Schiff. Jetzt sieht unsere MORGANE wieder aus wie eine Segelyacht. Wir wollten uns die anstrengende Passage durch Nordsee, Englischen Kanal
und Biscaya sparen und unsere Reise im Mittelmeer beginnen. Daher ließen wir unser Schiff per Tieflader nach Südfrankreich bringen.
Vor sechs Jahren machten wir die vorbereitenden Schritte hinein in das Abenteuer, das heute seinen Lauf nimmt. Einen Winter lang paukten wir die Segel-Theorie. Weder die Kollisionsverhütungsregeln
noch die Seeschifffahrtstraßen-Ordnung blieben für uns ein Buch mit sieben Siegeln. Dann kostete es einige Mühe, ein Charterunternehmen zu finden, das eine Segelyacht mit Skipper vermietet, um einer
Familie mit zwei kleinen Kindern die Segelpraxis mit einem Dickschiff beizubringen. Bei Eiseskälte und Schneeschauern vermittelte uns schließlich Skipper Klaus innerhalb von zwei Wochen um Ostern in
den Gewässern bei Rügen die praktischen Grundlagen: Palstek und Achtknoten, wahrer und scheinbarer Wind, Ablegen und Anlegen, Missweisung und Ablenkung, Halsen, Kreuzen und Beidrehen gingen uns in
Fleisch und Blut über. Unter Deck wurde währenddessen gestillt, eine Windel gewechselt oder vorgelesen. Wir wissen bis heute nicht, wie es uns gelungen ist, unsere Freundin Anne zu überreden an
diesem unserem ersten Segelabenteuer teilzuhaben und sich um unsere Kinder zu kümmern, während wir an Deck hantierten.
Im Sommer durchstöberten wir den Gebrauchtboote-Markt, um eine Vorstellung von Yachttypen und Preisen zu bekommen. Die Vorschläge der Salzbuckel in den Fachbüchern zum Thema "ideales Fahrtenschiff"
reichen vom Cruiser-Racer (je schneller umso sicherer) bis zum schweren Langkieler nach Art norwegischer Hochseerettungsboote. Also trafen wir unsere eigene Entscheidung.
Wir wollten eine Yacht, die stabil und wertbeständig ist und sich von einer Person segeln lässt. Falls unsere Träume sich nicht verwirklichen ließen, sollte sie sich gut wieder verkaufen lassen.
Damit schieden die Massenprodukte der Charterunternehmen und die Einzelbauten aus. Ein ausgetüfteltes, langjährig erprobtes und sicheres Design erschien uns sinnvoll. Wir wollten sicher segeln und
bequem an Bord leben. Also sollte es ein gemäßigter Kurzkieler mit Ruderskeg sein (Gutmütigkeit, Richtungsstabilität, bequemes Beiliegen). Dazu wollten wir eine große Pantry, die auch bei Seegang gut
genutzt werden kann, ein geschütztes, trockenes Cockpit für Vier mit fester Scheibe und stabiler Sprayhood, viel Stauraum im ganzen Schiff und eine große Vorschiffskajüte für die Kinder. Damit wurde
die Auswahl schon sehr eingegrenzt. Die Segelyachten der großen schwedischen Werften kamen unseren Vorstellungen sehr nahe.
Jeder Meter Schiffslänge kostet Geld, nicht nur in der Anschaffung, sondern auch bei Reparaturen, Ersatzteilen und Hafengebühren. Also sollte unser Schiff so klein wie möglich sein, aber noch
ausreichend Platz für uns Vier zum Leben an Bord bieten.
Dann ging alles viel schneller als geplant. Ein Unternehmer aus Westfalen hatte sich bereits eine neue Yacht gekauft und wollte nun - mitten in der Segelsaison - sein altes Schiff schnell verkaufen.
Wie hätten wir hereinfallen können bei unserem geringen Wissen über die Problemzonen gebrauchter Schiffe! Wir haben uns einfach auf unser gemeinsames gutes Gefühl verlassen und Glück gehabt. So
wurden wir innerhalb weniger Wochen Eigentümer einer gut gepflegten sieben Jahre alten schwedischen Hochseeyacht.
Durch einen weiteren glücklichen Zufall lernten wir kurz nach der Yachtübernahme Jürgen kennen, einen erfahrenen Segler, der mit uns und unserem Schiff zwei Wochen lang Segelmanöver vor Heiligenhafen
trainierte. Während Jürgen mit einem von uns hinaus fuhr, zog der andere mit Jenni im Tragetuch und Jannes im Bollerwagen an den Strand. Zum Abschluss des Ausflugs konnte dann die Restfamilie
beobachten, wie Vati oder Mutti zehn Meter Schiff in die Box einparkten - meist ein Anlass zu großer Heiterkeit.
Jedes lange Sommerwochenende und die Ferien verbrachten wir dann zwischen Bornholm und Anholt auf dem Schiff. Von Jahr zu Jahr wurden die gesegelten Strecken länger und das Selbstvertrauen in unsere
Segelkünste wuchs. In den Winterhalbjahren besuchten wir Lehrgänge des Deutschen Segelvereins: Wetterkunde, Funkerlizenz, Motor- und Elektrokunde, Astronavigation, Umgang mit Seekrankheit. In
"Medizin an Bord" übten wir anhand einer Schweinebacke Infusionen anzulegen und klaffende Wunden zu nähen. Ute absolvierte ein Sicherheitstraining in der Marineschule in Neustadt und lernte Feuer-
und Leckbekämpfung, Mann-Über-Bord-Manöver und den Umgang mit Rettungsinsel und Signalraketen.
Familienangehörige, Freunde und Bekannte schauten unserem Tun zunächst skeptisch zu, dann kamen die Bedenken. Vorsichtig wurde gefragt: "Mit den Kindern wollt ihr das wagen? Was ist mit der Schule?
Und wenn die Kinder krank werden?"
Um uns selbst sicherer zu werden, streuten wir über den Hochseeseglerverein Trans-Ocean eine "Kontaktanzeige" für segelnde Familien. Wir bekamen Rückmeldungen von mehr als dreißig Familien. Acht
Familien hatten eine Langfahrt oder Weltumsegelung in den vergangenen zehn Jahren abgeschlossen, sechs waren weltweit unterwegs, neun wälzten große Pläne, und acht wollten gleichzeitig mit uns zur
Weltumsegelung starten. Wir schickten unsere Fragen in die Runde: Welche Erfahrungen habt Ihr mit Seekrankheit bei den Kindern gemacht? Wie seid Ihr und die Kinder mit den Ängsten der Kinder
klargekommen bei Schwerwetter, brisanten Situationen usw. Wie habt Ihr die Kinder an Bord untergebracht? Mit welchen Spielsachen und Beschäftigungen an Bord habt Ihr mit den Kindern gute oder
schlechte Erfahrungen gemacht? Wie habt Ihr die Befreiung der Kinder vom Unterricht erreicht? Wie sah der Unterricht der Kinder an Bord aus? Welche Hilfen hattet Ihr?
Wir koordinierten den Erfahrungsaustausch, fassten von Zeit zu Zeit die Ergebnisse zusammen und verschickten sie in die Internetrunde. Linda Dashew z. B. war jahrelang mit ihrer Familie weltweit
unterwegs. Sie schrieb über die Erfahrung mit ihren Töchtern rückblickend: "Taking the children bluewater cruising could be one of the best things we have ever done for them. They've been exposed to
other cultures and ways of life, have been taught to assume responsibility, learned self-reliance and independence through sailing; they've cultivated nascent creativity and have learned to cope with
loneliness and boredom." (Mit den Kindern über die Ozeane zu segeln, ist wohl eines der besten Dinge, die wir für sie getan haben. Sie haben andere Kulturen und Lebensweisen kennen gelernt, ihnen
wurde beigebracht Verantwortung zu übernehmen, sie haben durch das Segeln Selbstvertrauen und Unabhängigkeit gelernt; sie haben Kreativität entwickelt und gelernt mit Einsamkeit und Langeweile fertig
zu werden.)
Und was uns Stefanie aus dem Südpazifik schrieb, steht für nahezu alle segelnden Familien: "Viel Erfolg bei den Vorbereitungen und viel Durchhaltevermögen wünschen wir euch - es lohnt sich!!"
Und jetzt wusele ich mich in Südfrankreich auf unserer MORGANE durch die Schiffsmastelektrik: ein Puzzlespiel mit einem Dutzend Leitungen und Steckern. Die Anschlüsse sind farblich gut
gekennzeichnet. So ist es kein großes Problem, Windmessanlage, Decks- und Navigationslichter, Radar und Antenne richtig anzuschließen. Trotzdem gibt es ein großes Aufatmen als alles funktioniert,
nachdem ein Kabelbruch gefunden und repariert ist. Inzwischen ist allerdings der Kühlschrank ausgefallen.
Den Vormittag haben Ute und ich genutzt, um den Windgeneratormast zu montieren: zwei Meter Edelstahlrohr mit dem Windgenerator obendrauf. Mit viel List, Kraft und flinkem Geschraube gelingt's, ein
gutes Gefühl, wenn Teamarbeit so klappt.
Einmal morgens, einmal nachmittags geht's mit den Kindern zum Baden an den Strand, endlich mal ohne den heimatlichen Schüttelfrost danach: Wasser 22 Grad, Luft 29 Grad.
Ein alter Schaden an der Teak-Fußreling wird noch geklebt und geschraubt. Damit weder die Segel noch die Kinder leicht von Deck geweht werden können, bringt Ute Relingsnetze an: ein Geduldsspiel. Ich
habe währenddessen den Kühlschrank wieder ins Laufen gebracht, eine fliegende Sicherung war zusammen geschmort.
Weniger erfolgreich ist meine Arbeit an der E-Mail-Verbindung per Kurzwellensender. Unser Notebook hat keinen passenden Anschluss für das Modem vom Funkgerät. Der Austausch des Antriebs der
Autopilot-Anlage scheitert an der fest geknallten Verschraubung des Ruderrads: ist mit Bordmitteln nicht zu lösen. Vielleicht hat morgen ein Monteur Zeit zu helfen.
Allmählich wird der Salon bewohnbar. Heckanker, Ankerkette und Leinen finden ihren Platz am Heckkorb in Gesellschaft von Außenborder, Rettungsinsel und Markierungsboje. Unsere MORGANE sieht aus, als
hätten wir etwas Größeres mit ihr vor.
Vier Tage lang nagelt uns "le Grand Frais" an den Kai, das ist der kalte trockene Mistral, der bei sonnigem Wetter schon so manche Segler im Golfe de Lion mit stürmischen Böen überrascht hat. Wir
nutzen die Zeit, um Pläne für die weitere Route zu machen: Kanaren, Karibik, Panama, Südsee, Australien …
Und dann ist es soweit, wir lassen die Molenköpfe von Port Leucate hinter uns, wir sind unterwegs - und: die vielen kleinen nützlichen Geschenke von zuhause erinnern uns an Familie und Freunde. Viele
gute Wünsche begleiten uns.
...und wie es weitergeht?
Daraus ist ein ganzes Buch geworden!